Efail, investigative Journalisten und der Trend zur Panikmache

Was Sparwut in Redaktionen anrichten kann, erfahren wir ja seit vielen Jahren. In den gegenwärtigen Tarifverhandlungen bei den Tageszeitungen geht es ja nicht nur um die Auseinandersetzung, wie hoch der Inflationsausgleich ausfallen soll. Es geht auch um ganz konkrete Arbeitsbedingungen. Die werden durch unsinnigen Kostendruck zunehmend verschlechtert. Das wirkt sich in vielen Hinsichten auf die journalistische Arbeit aus. Was passiert, wenn in Sachen Recherche an den falschen Stellen gespart wird, Recherchen in sogenannten „Investigativressorts“ zentralisiert und in anderen Ressorts dafür abgebaut werden, konnten wir am vergangenen Montag bei der Panikmache um verschlüsselte Mail erleben, die der Rechercheverbund von WDR, NDR und SZ losgetreten hat.

Dazu ein Kommentar von Peter Welchering

Die Schlagzeilen waren gewaltig: Das Vertrauen in verschlüsselte E-Mail sei verloren. Ein zentraler Baustein sicherer Kommunikation zertrümmert. Von der Tagesschau bis zur Süddeutschen Zeitung wurde in Sachen IT-Sicherheit geradezu Weltuntergangsstimmung verbreitet. Dabei haben Forscher lediglich zwei äußerst elegante Attacken auf Mail-Programme beschrieben, mit denen verschlüsselte Mail von Unbefugten entschlüsselt werden kann. Die prinzipiellen Angriffsvektoren werden schon seit längerer Zeit diskutiert.
 
Als ich die völlig überzogenen Schlagzeilen las, dachte ich zunächst, dass da mal wieder ein paar Kollegen ein Paper nicht zu Ende gelesen haben. Mit technischen Details mögen sich ja leider viel zu viele Journalisten nicht auseinandersetzen, weil sie sich dann sofort an die bösen Zeiten wahlweise des Physik- oder Mathematikunterrichtes erinnert fühlen.
 
Investigativjournalismus als Krisenzeichen

Doch die Diskussionen der vergangenen Tage haben gezeigt, dass hinter der Efail-Panikmache etwas anderes steckt. Hier läuft der Kampf um die Aufmerksamkeit aus dem Ruder, und der Journalismus droht dabei das letzte Stückchen Glaubwürdigkeit zu verlieren. In vielen Fällen wie Efail wollen KollegINNen offensichtlich beweisen, wie superinvestigativ sie sind.
 
Da wird denn in Thriller-Manier beschrieben, wie man den Autoren eines Forschungspapiers ein halbes Jahr lang auf der Fährte war. Der Leser erwartet bei solchen Übertreibungen natürlich sofort, dass die Journalisten sich mit einem Whistleblower der Forschergruppe mindestens in einer Münsteraner Tiefgarage getroffen haben.
 
Die Geschichte wird durch Dramatisierungen dieser Art aufgehübscht. Wenn dann aber die technischen Details so verzerrt geschildert werden, dass aus einer Sicherheitslücke der Plugins Lücken der Verschlüsselungsstandards PGP und S/Mime werden, wenn die Falschaussage getroffen wird, dass es gelungen sei, „einen der zentralen Bausteine für sichere Kommunikation im digitalen Zeitalter zu zertrümmern“, wenn mal eben pauschal behauptet wird, verschlüsselte Mails seien generell nicht mehr sicher, dann müssen wir nach den Motiven dieser Panikmache fragen.

Wir müssen die Formel vom „investigativen Journalismus“ als Krisenzeichen begreifen.

Das Motiv hinter Efail

Efail ist von Journalisten im Dunstkreis des Rechercheverbundes von NDR, WDR und SZ hochgezogen worden. Solche Rechercheverbünde sind modern. Und sie sind gegründet worden, weil das journalistische Handwerkszeug für eine saubere Recherche, die Zeit dafür und das notwendige Geld in den Redaktionen nicht mehr zur Verfügung standen.

Weil recherchierende Journalisten hier weggespart worden sind, wurden auch die Geschichten immer schwächer. Daran haben die Nutzer der journalistischen Produkte deutliche Kritik geübt. Der Glaubwürdigkeitsverlust des Journalismus war beachtlich.
 
Darauf mussten die Redaktionshierarchen reagieren. Die naheliegendste Reaktion wäre gewesen, die Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen wieder in die Lage zu versetzen, flächendeckend gute Recherchen leisten zu können. Das kostet Arbeitszeit und Geld und war den Redaktionsbaronen zu teuer.

Beispielloser Abbau von Recherche-Ressourcen

Also gründet man Rechercheredaktionen zum Draufzeigen. Die Kollegen dort bekommen zwar überwiegend auch nur miese Verträge, aber dafür den virtuellen Orden des „Investigativjournalisten“. Und damit ihr schmaler Honorarzeitvertrag verlängert wird, müssen sie eine dolle Geschichte nach der anderen raushauen. Die Investigativsäue müssen am besten im Monats- oder Wochenrhythmus durchs journalistische Dorf getrieben werden.

Das führt dann letztlich dazu, dass eine an sich spannende Geschichte über zwei elegante Attacken auf verschlüsselte Mail mit prinzipiell seit einiger Zeit bekannten Angriffsvektoren derart panikmachend dramatisiert wird, dass sich die Detailbalken biegen. Hanebüchene Schlussfolgerungen werden gezogen.
 
So soll der Satz nicht mehr stimmen, dass richtig eingestellte kryptografische Verfahren zu den wenigen Dingen gehören, auf die man sich verlassen kann. Natürlich gilt dieser Satz immer noch. Ein genauer Blick in die Anlage der beschriebenen Angriffe bestätigt diesen Satz sogar.

Was treibt Journalisten dazu zu, solche Panikmache zu veranstalten? Die Antwort auf diese Frage ist alarmieren: Es ist die schiere Not. Unter dem Druck, die nächste Geschichte noch weiter oben auf der Skandalisierungsskala zu platzieren, wird Panik gemacht, erden nicht haltbare allgemeine Schlussfolgerungen aus an sich spannenden technischen Details gezogen.

Rückkehr zum soliden Handwerk

Genau damit sollten wir aber aufhören. Unsere Leser, Hörer und Zuschauer wollen sauber recherchierte und gut erzählte Geschichten ohne zweistelligen Panik- oder Skandalfaktor. Sie wollen unseren Berichten als Ergebnisse solider Recherchen trauen.

Dieses Vertrauen verspielen wir aber gerade durch Panikmache und sinnlos aufgeblähte Skandalgeschichten.

Deshalb brauchen wir wieder solide Recherchemöglichkeiten und -ressourcen in allen Redaktionen. Die Rücknahme dieser Recherchemöglichkeiten aus der Fläche zugunsten preiswerterer Investigativressorts hat zum verhängnisvollen Trend des superinvestigierten Hyper-Skandals geführt. Das sollten wir einfach wieder lassen und uns stattdessen für so gute Arbeitsbedingungen einsetzen, dass solche niemand im journalistischen Gewerk solche Übertreibungen mehr nötig hat.