Wir stellen vor: Die Journalismus-App "Articlett"

Eine Flatrate für guten Journalismus

 

Das Online-Portal „Articlett“ erprobt ein neues Abomodell

 

Heute, da sich Leserinnen und Leser immer mehr von alteingesessenen Titeln und dem Print-Abo verabschieden, braucht es alternative Ideen, um Qualitätsjournalismus ans Publikum zu bringen. Jonas Lerch, Medienwissenschaftler aus Karlsruhe, hatte dazu eine Idee. Gemeinsam mit der Informatikerin Nadezhda Prodanova und dem Informatiker Raphael Fritz gründete er das Start-up „Articlett“, eine Online-Plattform für journalistische Inhalte. Was es damit auf sich hat und wie es funktioniert, erklärt Jonas Lerch im Interview. Auf dem Bild das Gründerteam (v.r.n.l). Jonas Lerch, Nadezhda Prodanova, Raphael Fritz. Bildrechte: KIT. Die Fragen stellte Kathrin Horster-Rapp.

 

Frage: „Articlett funktioniert wie ein Mobilfunkvertrag – nur für Journalismus“ schreiben Sie auf Ihrer Homepage. Für Nutzer ist das ein gutes Konzept, nur das zu bezahlen, was man wirklich lesen möchte. Wie kann sich ihr Konzept für Medienhäuser und vor allem auch für Journalist*innen lohnen?

 

Jonas Lerch: Wir haben lange dazu geforscht; es war ja von Anfang an unser Ziel, dass sowohl Leser als auch Autoren und Verlage von unserem Modell profitieren. Einzelverkaufsmodelle wie zum Beispiel Blendle bieten Lesern zwar Vorteile, haben sich für Verlage aber bisher nicht gelohnt. Ansonsten gibt es vor allem Flatrate-Angebote für e-Paper. Angebote wie Readly sind da durchaus erfolgreich, für eine junge Zielgruppe aber eher ungeeignet. Wir wollten ein Abo-Modell, mit dem monatlich ein bestimmter Fixpreis erzielt wird, gleichzeitig aber flexibel ist. So kam uns die Idee, Wort-Volumina anzubieten. Es ist doch ein Vorteil, dass für Zeitungen und Nutzer gleichermaßen transparent ist, was ein Artikel genau kostet! Durch die Abstraktion auf die Wort-Anzahl wollten wir auch das kaufpsychologische Problem lösen, dass hinter jedem Artikel ein exakter Preis steht – zum Beispiel zwei Euro – und ich muss mich dann entscheiden, ob ich ihn zu diesem Preis lese oder nicht. Diese bewusste Kaufentscheidung für einen bestimmten Artikel wollten wir abkoppeln; bei uns zahlt man eben nicht nur einen bestimmten Artikel, sondern man zahlt für Wörter, die man liest.

 

Frage: Wie tief müssen denn Leser*innen dafür in die Tasche greifen?

 

Jonas Lerch: Es wird mehrere Tarife geben, der Einstiegspreis ist gerade im Hinblick auf unsere junge Zielgruppe geplant im Bereich um fünf Euro. Also in einer Größenordnung, die man vom Streamingmarkt her kennt und die für viele Menschen erschwinglich ist. Darauf aufbauend haben wir dann größere Tarife für Viel-Leser.

 

Frage: Und wie werden Journalist*innen entlohnt, die bei Ihnen veröffentlichen?

 

Jonas Lerch: Wir sind noch in der kostenfreien Testphase, erzielen also noch keinen Umsatz, sondern arbeiten mit einer Projektförderung. Im Moment verdienen die Journalisten über die Publisher; das Geld geht also direkt an die Verleger. Wir überlegen gerade aber, wie man in Zukunft die Plattform öffnen könnte für Journalist*innen, die ihre Texte direkt auf Articlett veröffentlichen möchten. Uns ist natürlich sehr daran gelegen, dass das für die Autorinnen und Autoren attraktiv ist.

 

Frage: Es ist ja auch so, dass manche Ressorts bei den Leser*innen beliebter sind als andere und deshalb auch mehr Einnahmen generieren werden. Werden Sie trotzdem das volle Spektrum abbilden?

 

Jonas Lerch: Klar, bei uns kann jeder mitmachen, der journalistisch arbeitet und gewisse Standards verfolgt. Wir freuen uns sehr auch über Nischenthemen. Wir wollen ja eine größtmögliche Vielfalt bei den Inhalten bieten, auch für Texte, die nicht unbedingt die allergrößte Zielgruppe haben. Natürlich ist es schwierig, da ein Modell zu finden, das sich für alle gleichermaßen lohnt. Aber ich denke, gerade in Deutschland hat es in den letzten Jahren tolle Neugründungen gegeben, die eigenständige Herangehensweisen an den Journalismus gefunden haben. Die haben alle einzelne Webseiten, die man als interessierter Leser erst mal finden muss. Und die möchten wir gerne bündeln, damit Leser eben nicht zig drei- oder fünf-Euro-pro-Monat-Abos abschließen müssen, sondern im Grunde alle mit einem Abo lesen können.

 

Frage: Bei ihrem Konkurrenten Readsearch werden Texte u.a. nach der sog. „Scroll-Rate“ bewertet: also bis zu welchem Punkt Texte gelesen werden. Danach soll sich bei Readsearch auch der Verdienst der Autor*innen richten.

 

Jonas Lerch: Ah, nein, das Modell kannte ich noch nicht! Bei uns ist das so: Sobald man einen Artikel per Klick

 

öffnet, gilt er als gekauft und wird nach Anzahl der Wörter im Text abgerechnet. Was wir planen: Wenn ein User direkt zurück klickt, weil er erkennt, dass er sich geirrt hat oder ihn der Text nicht interessiert, kann er die beim ersten Klick abgerechnete Anzahl der Worte erstattet bekommen. Das ist aber noch nicht implementiert.

 

Frage: Ein Modell wie die Scrollrate sehen Sie demnach auch eher kritisch?

 

Jonas Lerch: Genau. Wir wollten nicht messen, wie weit Nutzer einen Text scrollen oder wie viel Zeit sie damit verbringen. Uns ist wichtig, dass komplette Artikel abgerechnet werden. Ich denke, dass man sonst auf der Leser-Seite falsche Anreize setzt; hinterher denken die Nutzer, sie würden etwas sparen, wenn sie Texte nicht zu Ende lesen. Das kann für niemanden gut sein.

 

Frage: „Raus aus den Filterblasen!“, heißt es auf Ihrer Homepage. Bedeutet das auch, dass Sie keinerlei Einschränkungen hinsichtlich politischer Meinungen in der Berichterstattung machen?

 

Jonas Lerch: Wir veröffentlichen ausschließlich journalistische Medien und natürlich nichts, was in irgendeiner Form rassistisch, sexistisch oder sonst wie menschenfeindlich ist. Im Moment haben wir Publisher aus dem eher linken bis liberalen Spektrum, wir würden uns aber auch über eine konservative Meinung freuen, da sind wir grundsätzlich offen.

 

Frage: Da sind die Grenzen allerdings fließend, wenn man zum Beispiel an Tichys Einblick denkt. Und auch

 

die BILD-Zeitung wird hinsichtlich der Einhaltung journalistischer Standards oft kritisiert. Wie gehen sie denn mit kritischen Grenzfällen um?

 

Jonas Lerch: Letztendlich sind das Einzelfallentscheidungen, die man treffen muss. Was Bild angeht: Wir sehen uns als Plattform für einzigartige, längere Artikel, die man so nicht überall anders findet. Und da ist der Boulevardjournalismus nicht das, was wir im Fokus haben. Bei anderen Grenzfällen muss man entscheiden, inwieweit das politisch eingefärbte Meinungsmedien sind oder inwieweit man sagen kann, das ist ein journalistisches Medium, das nach anerkannten Standards arbeitet und sich vor allem einem Diskurs verpflichtet sieht.

 

Frage: Wie evaluieren Sie denn Artikel hinsichtlich der journalistischen Qualität?

 

Jonas Lerch: Bisher überprüfen wir keine einzelnen Texte, sondern wir überprüfen, ob wir eine Kooperation mit dem Publisher eingehen. Wir werden auch in Zukunft nicht einzelne Artikel freigeben. Bei freien Journalist*innen wäre das Vorgehen nicht anders, da müsste man im Vorfeld schauen, wie man zusammen arbeitet.

 

Frage: Nicht ganz einfach, wenn man zum Beispiel auf den Fall Relotius schaut, da braucht es viel Vertrauen, aber eben auch eine gewisse Kontrolle der Standards.

 

Jonas Lerch: Solche Fälle hatten wir bisher glücklicherweise noch nicht und wir versuchen so etwas zu verhindern, indem wir im Vorfeld genau hinschauen, mit wem wir zusammenarbeiten.

 

 

Info: Die Plattform „Articlett“ ist online abrufbar unter: https://articlett.de/de/

 

Zunächst können sich nur Studierende dort mit ihrer Uni-Emailadresse kostenlos anmelden und das gesamte Angebot nutzen. Nach der Testphase soll das dann kostenpflichtige Angebot allen Leserinnen und Lesern offenstehen.

Dieses Interview ist in der 1. Ausgabe des Blickpunkt-Magazins 2022 erschienen.