Warum ist Tarifbindung so wichtig? Interview mit Fachausschuss-Vorsitzenden Christoph Holbein

Die Tarifbindung bedeutet Sicherheit für Arbeitgeber und für Arbeitnehmende.
Christoph Holbein, Vorsitzender des Fachausschuss "Festangestellte Redakteur*innen und Betriebsrät*innen an Medienunternehmen

Anfang 2023 hat der DJV Baden-Württemberg mit der Kampagne „Zurück zum Tarif“ alle nicht tarifgebundenen Tageszeitungen aufgefordert, zur Tarifbindung zurückzukehren. Warum eine Bindung an den Tarif so wichtig ist, erklärt Christoph Holbein, Vorsitzender des Fachausschusses festangestellte Redakteur*innen und Betriebsrät*innen an Medienunternehmen beim DJV Baden-Württemberg.


Warum ist eine Tarifbindung so wichtig?


Allgemein bilden Tarife den Mindeststandard ab, von Entgeltzahlungen sowie sonstigen tariflichen Leistungen. Die Tarifbindung bedeutet eine Sicherheit für beide Seiten, für den Arbeitgeber, aber natürlich vor allem auch für den/die Arbeitnehmer*in. Er/sie muss dann nicht als Einzelkämpfer*in seine/ihre Lohn-, Gehalts- und sonstigen Zuwendungen erkämpfen, sondern kann sich an ein Tarifwerk halten. Damit ist auch die Sicherheit und die Form gewährleistet, auf welche Weise er/sie zu einer Lohn- und Gehaltserhöhung kommt, wie viel Urlaubstage festgelegt sind, wie Weihnachts- und Urlaubsgeld geregelt ist etc. – also insoweit ist es ein grundlegendes Fundament, auf dem ich als Arbeitnehmer*in verweisen kann, ohne dass ich selbst immer wieder mit meinem Arbeitgeber in Verhandlungen treten muss.


Wie sieht es aktuell aus? Welche Bedeutung kommt der Tarifbindung zu?  Wo stehen wir da aktuell?


Leider ist es so, dass viele Unternehmen aus der Tarifbindung herausgehen und das Argument bringen, dass der Markt alles selbst regle und deshalb machen sie ihr eigenes Ding. Das ist leider der Trend, dass viele, auch große Verlage, zuletzt Funke zum Beispiel, aus der Tarifbindung herausgehen. Oft ist es so, dass sie Tarifbindungen verlassen, um niedere Lohngefüge zu erarbeiten. Die meisten wollen ein Dumping einführen, wodurch sie viel Geld sparen können, indem sie zum Beispiel kein Weihnachtsgeld oder kein Urlaubsgeld bezahlen, einen Vertrag anbieten, in dem eine 40-Stunden-Woche oder weniger Urlaubstage festgelegt sind, und so weiter. Konkret bedeutet das für den/die Arbeitnehmer*in oftmals Gehalts- und Leistungsverlust und der Arbeitgeber sieht hier die Gelegenheit für Einsparungen.


Was ist mit den Verlagen, die sich aus der Tarifbindung verabschiedet oder eine Tarifbindung nie in Erwägung gezogen haben: Warum lehnen sie die Tarifbindung ab oder zieren sie sich so, diese - wieder - einzuführen?


Das ist eine gute Frage. Die Tarifbindung bedeutet für mich als Arbeitgeber, dass ich eine feste Struktur habe, in der ich mich bewegen muss. Wenn ich keine Tarifbindung habe, dann habe ich die Möglichkeit, das Gebilde so zu formen, wie es für mein Unternehmen am besten passt. Ich kann versuchen, Leute zu niedrigeren Konditionen einzustellen. Das kann ich als Unternehmen dann natürlich machen und deswegen werden viele aus der Tarifbindung herausgehen.


Das sieht man leider jetzt auch schon hier in Stuttgart, dass der Konzern Medienholding Süd (MHS) mit der neuen Firma Zeitungsgruppe Stuttgart (ZGS) auch aus der Tarifbindung ausschert. Also alle, die neu eingestellt werden, werden nicht mehr nach Tarif bezahlt. Das ist aus meiner Sicht natürlich eine Milchmädchenrechnung. An der Stelle geht es rein um Zahlen: Ein*e  tarifgebundene*r Mitarbeiter*in kostet so viel und ein*e nicht tarifgebundene*r Mitarbeiter*in so viel im Jahr. Nur, ob ich dann noch die von mir als Standard gesetzte Qualität an Beschäftigten bekomme, ist natürlich eine andere Frage. Konkreter: Rechnet sich diese Vorgehensweise wirklich in der Nachhaltigkeit für das Unternehmen?

 

Der Deutsche Journalistenverband Baden-Württemberg DJV BW fordert zurück zur Tarifbindung.

Welche weiteren Nachteile können für Unternehmen entstehen, wenn sie nicht tarifgebunden agieren?

 

Bezugnehmend hier auf Ihr Beispiel: Arbeitnehmende sind nicht mehr bereit, für einen Dumping-Lohn zu arbeiten, was für mich als Unternehmen bedeutet, dass ich in Zukunft nicht mehr die Qualität erwarten kann, die meinem gesetzten Leistungsstandard im Unternehmen gerecht wird.


Das wäre mein Argument: Der Markt regelt das dann tatsächlich auch, aber in eine andere Richtung, als sich der oder die Unternehmer*in sich das denkt oder wünscht. Dann sagen Jobsuchende möglicherweise: „Ich gehe zu einem Unternehmen, das tarifgebunden ist, und dort bekomme ich die wertschätzenden Leistungen für meine Arbeit, die ich in dem anderen Unternehmen nicht kriege.“


Natürlich wechseln Arbeitnehmende zu einem anderen Zeitungsverlag, der die tariflichen Bindungen hat, und oftmals damit auch die besseren Rahmenbedingungen für die Arbeit schafft, beziehungsweise nach Tarif bezahlt und mit diesen besseren Konditionen die Arbeit auch wertschätzt. Und wenn Arbeitgeber immer wieder formulieren, dass Geld heute gar keine so große Rolle spiele, dann ist das aus meiner Sicht falsch.


Natürlich spielt es heutzutage noch immer eine Rolle, vor allem bei jungen Menschen, die sich über Themen wie Zukunftsgestaltung, Nachhaltigkeit, Familiengründung etc. Gedanken machen. Nur so können sie rechnen: „Was habe ich unterm Strich im Monat oder aufs Jahr gesehen zur Verfügung und was ist dadurch für mich und meine Zukunft möglich?“


Für mich ist die Tarifbindung resümierend aus folgenden Gründen so wichtig:


Für den*die Arbeitnehmer*in ist der Vorteil, dass er*sie nicht jedes Jahr oder alle zwei um Gehaltserhöhung ersuchen muss, denn in so einem Moment kommt es auf die Verhandlungsstärke jeder/jedes Einzelnen an. Wenn ich da ein schüchterner Typ bin, dann habe ich sicher so meine Schwierigkeiten, den Erfolg zu haben, den ich mir wünsche und in der aktuellen Zeit auch brauche.


Aber auch für die Unternehmen, denke ich, ist es von Vorteil, feste Entlohnungsstrukturen zu haben. Es macht die Vergleichbarkeit einfacher: Okay, das ist der gleiche Lohn, das ist vergleichbare Arbeit, dies umrahmt der Tarif und es gibt künftig die Möglichkeit, Aufstiegsmöglichkeiten festzustellen. Es macht die Eingruppierung einfacher oder bietet die Möglichkeit, dann auch mit Zulagen zu arbeiten.


Wichtig ist zu sehen: Der Tarif ist eine Mindestanforderung. Da kann das Unternehmen immer noch sagen: Okay, wenn ein*e Arbeitnehmer*in jetzt diese besondere Aufgabe übernimmt, gibt man ihm*ihr eine Zulage oder ermöglicht ein andere Eingruppierung als Büroleiter*in oder Redaktionsleiter*in. Mit einer Tarifbindung hat das Unternehmen den Vorteil, dass es nicht immer wieder mit 150 Leuten verhandeln muss. Es verhandelt im Grunde gar nicht mehr, weil es sich im Tarif befindet. Denn Verhandlungen führen die Vertreter des jeweiligen Verbands und das Unternehmen selbst hat keine Auseinandersetzung mehr mit dem*der einzelnen Beschäftigten. Das ist kostbare Zeit, die nicht gebunden wird, und anderweitig genutzt werden kann.


Das schafft auch soziale Ruhe im Betrieb, weil jede*r weiß, innerhalb welcher Struktur er*sie sich bewegt, sei es beim Gehalt, beim Vergleich der Tätigkeiten etc. Ich denke, für den sozialen Frieden und die soziale Partnerschaft im Unternehmen ist eine Tarifbindung von großem Vorteil, weil das feste Rahmenbedingungen schafft, für alle, die innerhalb dieser Struktur gemeinsam miteinander arbeiten.

 

Das Interview führte Astrid Listner.